Trotz des „heißen Themas“ wurde die Gelegenheit aber auch genutzt, um mit Niebler in der knapp zweistündigen Veranstaltung über die europäische Agrarpolitik, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Wettbewerbspolitik und Plattform-Ökonomie, Finanztransaktionssteuer sowie über die Zukunft der europäischen Institutionen und Integration zu sprechen.
In ihrem kurzen Eingangsvortrag betonte Niebler, dass sie trotz durchaus berechtigter Kritik voll hinter der europäischen Impfstoffstrategie steht. Auch wenn bei der Zulassung der Impfstoffe, bei den Verhandlungen zur Beschaffung und mit den geschürten hohen Erwartungen auch Fehler gemacht wurden – aus denen man lerne müsse –, wäre die massive EU-Förderung für die Forschung und Einrichtung der Produktionen mit entscheidend für die schnelle Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen gewesen. „Ich bin froh, dass wir in Europa gemeinsam bestellt haben“, stellte sie zudem die notwendige Solidarität mit kleineren Ländern heraus. Ihre Aufgabe sehe sie jetzt darin, „Therapien stärker in den Fokus zu nehmen“, um hier schnell Durchbrüche bei der Behandlung schwerer Infektionsverläufe zu bekommen. Außerdem ginge es darum, die EU mittelfristig krisenfester zu machen und zu prüfen, „was wir an Produktion für Arzneimittel wieder nach Europa zurückverlagern können“.
Die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die bayerische Wirtschaft, namentlich den Lockdown, nannte Niebler „dramatisch“. „Firmen, die auch unsere Innenstädte beleben, geht die Luft aus“, stellte sie fest und sprach damit den anwesenden Wasserburger Wirtschaftsvertretern aus der Seele. Mit einer leidenschaftlichen Wortmeldung bekräftigte das auch der Wasserburger Wirtschaftsreferent Christoph Klobeck: „Viele kleine Geschäfte, Ein-, Zwei-Mann-Betriebe, fallen durch das Raster der Hilfen, haben schon ihre Altersvorsorge ins Unternehmen gesteckt und pfeifen jetzt auf dem letzten Loch.“ Sibylle Schuhmacher vom Innkaufhaus kritisierte die ausufernde Bürokratie der Überbrückungshilfe und beschrieb die Hilflosigkeit, wenn man untätig bangen muss, „was die Politik über unsere Zukunft entscheidet.“ Niebler bekannte ihre persönliche Überzeugung, dass angesichts guter bestehender Hygienekonzepte „die kleinen Läden aufmachen müssen“ und versicherte, dass sie da auch in der CSU nicht alleine stehe, sondern starke Kräfte für eine Öffnung plädieren. Gemeinsam mit dem CSU-Ortsvorsitzenden und Stadtrat Wolfgang Schmid mahnte sie, nicht alles an der 7-Tages-Inizidenz festzumachen. Schmid dazu: „35 anzustreben, bevor man lockert, hat was mit Science Fiction zu tun.“ Man befürchtet, dass bis dahin die Innenstädte ausgeblutet sind.
In Zusammenhang mit der Pandemie wurden auch die Wiederaufbau-Fonds der EU in Höhe von 750 Milliarden Euro diskutiert. Darin auch Gelder, die für Digitalisierung reserviert wurden. Angesprochene Defizite in Bayern bei Breitband- und Mobilfunkausbau bestätigte Niebler: „Wir haben hier kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Neben Infrastruktur und Förderungen im Rahmen des European Green Deal sieht Niebler außerdem den Bereich Bürokratieabbau als wesentlichen Impuls zur wirtschaftlichen Belebung. „Ich kämpfe mit Kolleginnen und Kollegen, Bürokratie jetzt mal bleiben zu lassen“, sagte Niebler.
Mehrere Wortmeldungen gab es zu den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Auf die Frage nach den Umgang der EU mit Klimasündern wie Brasilien verwies Niebler auf entsprechende Resolutionen der Europaparlaments und der EU-Kommission. Weiterhin betonte sie hier die Bedeutung der europäischen Handelspolitik und von internationalen Handelsabkommen der EU. Auch innerhalb der EU gelte es, so Niebler, das Ziel der Klimaneutralität für ganz Europa bis 2050 mit „marktwirtschaftlichen Lösungen, technologieoffen, über Innovationen und nicht mit Regulatorik und Staatsvorgaben“ voranzutreiben. Auch bestätigte Niebler auf eine Frage, die Chance Europas als Innovationsvorreiter bei Wasserstoff-Technologien durch die Entwicklung intelligenter, wirtschaftlich tragfähiger Lösungen, die dann andernorts übernommen werden. Niebler sieht vielversprechende Ansätze, dass Europa zum „Wasserstoff-Kontinent“ wird.
Eine Reihe weiterer Themen wurde von den Gesprächsteilnehmer angesprochen und mit Niebler diskutiert: In Bezug auf die gemeinsame Agrarpolitik der EU betonte Niebler den erklärten Willen des Europaparlaments, vermehrt kleine Betriebe zu fördern und deren Belange in den Regelungen besser zu berücksichtigten. Zur marktbeherrschenden Stellung von Unternehmen im Internet fordert Niebler fairen Zugang zu den großen Plattformen für alle, genauso wie mehr Beteiligung an den Steuern und mehr Verantwortung für die Inhalte. Sie ging noch weiter und meinte, dass Europa auch bei der Plattform-Ökonomie gute eigene Entwicklungspotenziale hat und sich noch, ähnlich wie es in der Raumfahrt gelungen ist, global wettbewerbsfähig etablieren kann. Für die geäußerten Sorgen, dass Europa wieder mehr in Nationen zerfällt, und zum schlechten Image europäischer Institutionen zeigte Niebler Verständnis. Aber „auch wenn es langsam geht, manches mühsam ist und man immer wieder aus Fehlern lernen muss“, habe sich in Europa in den letzten Jahren doch Beachtliches entwickelt: zum Beispiel der Wirtschafts-Binnenmarkt, die Freizügigkeit, der Schengen-Raum, der Euro oder jüngst auch der Energie-Binnenmarkt. „Europa schützt und nützt“, hatte die Moderatorin und CSU-Stadträtin Heike Maas in diesem Sinne den Abend schon mit einem Bonmot Nieblers eingeleitet. Das Bekenntnis zur Bedeutung und Notwendigkeit der EU hat augenscheinlich auch alle Teilnehmer des Abends geeint, wobei immer wieder das Prinzip der Subsidiarität betont wurde – auch von Niebler –, dass „nicht alles von Europa geregelt werden muss“.